Coming soon : the magic 30

Coming soon : the magic 30

Es ist Freitag Nachmittag und draußen ist es grau. So grau wie die ganzen letzten Tage, mit ekelhaftem Regen, der in unregelmäßigen Abständen kommt und geht und mich daran hindert die Motivation zum Haarewaschen zu finden. Stattdessen sitze ich in der hintersten Ecke unseres kleinen Sofas während der Hund die restlichen Zweidrittel beansprucht. Ich frage mich oft wie sie das macht, sie ist eigentlich so ein kleiner Mops, aber auf der Couch wird sie so unglaublich lang. Egal. Hier von der hintersten Ecke des Sofas habe ich alles im Blick, den Regen da draußen und das Chaos hier drinnen.

Seit einigen Tagen läuft in mir ein innerer Countdown. Nicht dass ich mich da in etwas hineinsteigern wollte, dass ich mir hier Dinge oder Probleme einreden möchte. Aber es passiert einfach. Crazy Brain macht eben was es will und ich bin mir sicher, am Ende sind es auch wie immer einfach die Medien die Schuld sind. Und die Menschen um mich herum, die mit erhobenem Zeigefinger fragen, wozu ich jetzt eigentlich ewig studiert hätte. Oder die mir sagen, dass ich nun langsam endlich mal an die Zukunft denke müsse, den Zug mit der Aufschrift nächster Stop: Mama sein, den sollte ich schließlich bloß nicht verpassen.

Nein ich wollte mich echt nicht von alldem hinreißen lassen. Nie nach rechts und links schauen, jeden sein eigenes Leben leben lassen. Es gibt so viele verschiedene Schuhmodelle und jeder kann sein Liebstes tragen, können wir das nicht auch einfach mit unserer Lebensgestaltung so halten? Ich war mir immer sicher das geht und dass Zahlen nur Zahlen sind. Und ich hasse zahlen sowieso, kann nicht mit ihnen umgehen. Vermutlich geht es deswegen auch meinen Konten meistens schlecht und ja, ich dachte auch das würde dieses Erwachsensein, dieses älter und vernünftiger werden regeln, aber fail.

All die Dinge von denen ich früher dachte sie wären erwachsen und würden sich schon irgendwie ergeben, bleiben irgendwie aus. Mein genialer Fünfjahresplan, den ich im Alter von zarten zwanzig Jahren geschmiedet hatte, ging nicht auf. Gott sei Dank. Nicht auszudenken ich würde jetzt auf irgendeinem Dorf sitzen, zwei Kinder an der Backe, die Haare ungewaschen und der Vater dieser Kinder irgendwo nur nie in diesem Dorf. Warum auch, da gibt es ja nichts. Gott sei Dank sind Pläne dazu da um verworfen zu werden und aus ihnen zu lernen. Und thank the lord, gibt es immer einen Plan B. Meine liebe Mami hat immer zu mir gesagt ich kann bis ich 25 werde zu Hause leben. Stattdessen bin ich mit 26 wieder zu ihr zurückgezogen, mit Sack und Pack und den Hinterlassenschaften einer eigenen Wohnung, die bis heute aufgeteilt in Kellern und Gartenhütten meiner Verwandschaft stehen. Vier Umzüge, ein paar chaotische Studienjahre und viele Panikattacken beim Anblick des Kontoauszuges später, bin ich jetzt hier. Angekommen. Safe. Bei meinem Lieblingsfotografen, den ich ohne Irrungen und Wirrungen nicht getroffen hätte.

Ich fange an zu googeln. 
10 Gründe warum es super ist 30 zu werden.
Bullshit.
 Warum 30 das neue 20 ist.
Lächerlich
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Ich hab mich da reindrängen lassen.

Und trotzdem, ist es passiert. Das Ticken dieser einen neuen Uhr, die auf den ersten Blick so gut aussah. Es stört. Nachts, wenn sie neben mir auf dem Tisch liegt. Tick. Tack. Tick. Tack. Ich weiß was sie tut. Sie zählt die Tage. Genau wie ich. Und einmal mehr weiß ich es ist passiert. Ich hab mich da reindrängen lassen. Ich bekomme beklemmende Gefühle und fange an zu googeln. 10 Gründe warum es super ist 30 zu werden. Bullshit. Warum 30 das neue 20 ist. Hilft mir nichts. Nichts. Lächerlich. Google kann eben nicht immer heilen. Ich bin in einer 30 coming soon – too soon-Krise.

Das ganze gipfelte am letzten Wochenende, an dem in unserer kleinen Stadt einfach mal die Party abging. Und das ist wirklich etwas Besonderes in einer kleinen verschlafenen Stadt mitten im Thüringer Wald. Wenn dir da innerhalb einer halben Stunde mehr Menschen entgegenlaufen als sonst an einem ganzen Tag, dann weiß du, hier geht echt was ab. Dann musst du auch raus. Dich unters Volk mischen. Endlich mal wieder. Schließlich war ich in letzter Zeit nicht oft weg. Ein kleiner Hund ist auch ein Baby, kann nicht rund um die Uhr alleine bleiben und schon gar nicht überall mit hin. Das ist gesellschaftlich aber nicht akzeptiert. Da zählen nur echte Babies. Selbstgemacht, gehegt und gepflegt. Für die kann man von überall Verständnis einheimsen. Macht man sich aber nach ein paar Stunden Sorgen um den kleinen Hund, der vermutlich vor lauter Verzweiflung, weil er das erste Mal lange allein ist, die ganze Wohnung voll pinkelt, dann bist du schnell ein Spießer und wirst von Freunden die dich sonst zur Hochzeit nötigen wollen gefragt, warum du dir sowas überhaupt angeschafft hast. Well… Nicht auszudenken ich würde schon im Zug sitzen, unterwegs zur Haltestelle Mama sein. Aber zurück zum Thema, zur eigentlichen Schande und zum Gipfel meiner kleinen Krise. Während nämlich draußen auf unserem Kleinstadtcampus die Hölle los ist, sitzen wir mit zwei befreundeten Pärchen in einem Theaterstück, was mir die ganze Misere vor Augen führt. Schlechte Dialoge, Experimente die nicht funktionieren. Lokalpolitiker die heute versuchen mal was mit Humor zu machen um am Montag morgen wieder in den seriösen Wichtigtuermodus zu wechseln. Kurz: es ist ein Graus! Ich schaue minütlich auf die Uhr, wackel zwischen den zwei Sitzen hin und her, einen ganzen für mich allein gab es leider nicht mehr, und kralle mich an den letzten Tropfen Rotkäppchensekt in einem Plastikbecher – halbtrocken, ich werde alt, ist mir nämlich zu süß. Während ich darüber nachdenke, wie selten ich in letzter Zeit weg war, was ich draußen alles gerade verpasse und dass wir hier vermutlich noch zwei Stunden vor uns haben und mir einfällt wie laut diese Uhr auf dem Nachttisch tickt, muss ich mich zusammenreißen nicht in Tränen auszubrechen. Worst evening ever.

Die Veranstaltung endet, draußen regnet es in Strömen, die geplante mega fancy Lasershow fällt aus, dafür gibt es ein tolles Feuerwerk. Dann will ich nach Hause, zu meinem Hund. Der Abend ist gelaufen und mir ist es egal. Ich will nicht versuchen ihn in einem stickigen Club zu retten. Ich bin jetzt so weit, andere Dinge sind mir wichtiger, ich hab nunmal jetzt auch Verantwortung. Nur ein Hund, kein Kind, sorry for that. Aber nichts macht mich an diesem Abend glücklicher als Emmas fröhliches Gequietsche beim Nachhausekommen. Bin ich jetzt halt spießig. Ist ok für mich.

Und während ich heute hier in der hintersten Ecke unseres winzigen Sofas sitze, Emma Mops an mich gekuschelt und draußen diesen fabelhaften (not) Sommer beobachte komme ich nicht umhin mich zu fragen, ob das jetzt wirklich ich bin, die ein Problem mit der 30 hat oder einfach nur die Gesellschaft, die Welt um mich herum.

Ist es mir nicht eigentlich egal?

Habe ich vielleicht nur das Gefühl es sollte mir nicht egal sein? Wird mir von außen dieser ganze Hokuspokus eingeredet? Muss ich jetzt groß feiern? Oder soll ich mich lieber schämen? Muss ich jetzt Angst haben? Muss jetzt irgendwas anders werden? Oder ist es sogar schlimm, dass manche Sachen schon anders sind? Ich nicht mehr Nächte zum Tag mache, obwohl ich eine kinderlose Frau bin, deren Uhr doch laut ticken muss, deren Zug womöglich die ach so wichtige Haltestelle verpassen könnte?

Ich darf machen was ich will und wann ich will
und sogar schon ein bisschen spießig sein.
Selbst Zynismus funktioniert inzwischen viel besser
und glaubhafter als mit Anfang 20.

Perfekt!

Fakt ist, nächste Woche werde ich 30. Sieht schlimm aus. Und in den letzten Tagen, die ich erkältet, mit ungewaschenen Haaren und müdem Blick in der hintersten Ecke unseres winzigen Sofas verbracht habe, während das Wetter draußen Weltuntergangsstimmung produziert hat, hat es sich auch schlimm angefühlt. Ein bisschen. Aber am Ende, ist es doch nur eine Zahl. Es wird sich ab Dienstag nichts ändern. Da kommt keine neue Falte über Nacht dazu. Mein Körper wird nicht schlagartig die Eizellenproduktion einstellen, die Zeit läuft ab da nicht schneller und überhaupt, ich muss gar nichts! Denn ich bin erwachsen. Das ist vielleicht wirklich das aller Beste daran. Ich bin erwachsen und muss überhaupt niemandem irgendwas beweisen. Ich brauche mich nicht zu entschuldigen, für die vielen Umzüge, die komplette Wohunungseinrichtung, die irgendwo verteilt ist. Ich brauche mich nicht zu rechtfertigen warum ich studiert habe und jetzt nicht in diesem Beruf arbeite. Und schon gar nicht muss ich irgendwem, irgendwelche Gründe oder gar Daten für meine Zukunftsplanung darlegen. I’m not a girl. Ich darf machen was ich will und wann ich will und sogar schon ein bisschen spießig sein. Selbst Zynismus funktioniert inzwischen viel besser und glaubhafter als mit Anfang 20. Kommt mit dem Alter einfach glaubhafter. Perfekt! Und deswegen höre ich jetzt auch auf nach der magischen 30 zu googeln. Wasche meine Haare und freue mich auf meinen Geburtstag. Wird schon! Und tut bestimmt auch gar nicht weh!

Genießt das Wochenende ihr Lieben, egal wie alt und was ihr vorhabt. Kopf aus, Sonne an!

– Julie –

Pics by  DLPhotography

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10 Comments

  1. Anne
    4. June 2016 / 9:00

    Hi, ach lass dich bloß nicht stressen von den anderen. 30 ist nur ne Zahl, da hat sich bei mir nix geändert. Wichtig ist, wie du dich fühlst. Du wirst schon merken, wenn die Zeit für ein Kind da ist 🙂 Und wenn sie da ist, wirst du ne tolle Mama. Bis dahin leb dein Leben genauso weiter!
    Ganz viele Grüße aus dem sonnigen Salzgitter – Anne

    • Julie
      Author
      4. June 2016 / 19:30

      Oh liebe Anne, danke für den schönen Kommentar! Ich weiß, da ändert sich spontan nichts, ich weiß auch nicht warum so eine doofe Zahl einen doch hin und wieder aus der Ruhe bringt. Wir sollten da bei Gelegenheit mal wieder persönlich bei einem Wein drüber philosophieren, ist irgendwie auch schon viel zu lange her 😉

  2. 4. June 2016 / 19:13

    Komisch, dass gerade 30 die magische Zahl ist, wo wir Frauen plötzlich Panik bekommen. Bei mir dauert das noch 7 Jahre, trotzdem bin ich immer erschrocken, wie schnell die Zeit vergeht. Irgendwie fühle ich mich immer noch wie ein Teenager.
    Lass dich nicht stressen! Genieße das Leben und freu dich auf deinen Geburtstag. 30 ist schließlich nur eine Zahl.

    Liebe Grüße,
    Jana von bezauberndenana.de

  3. 4. June 2016 / 19:23

    Kopf hoch und ja: das Alter ist nur eine Zahl. Man ist doch immer noch manchmal das 12 jährige Mädchen, der 19 jährige Teenie oder eben die fast 30jährige. Nein, man wird nicht über Nacht zu alt für irgendwas und wenn du mal so alt bist wie ich jetzt, dann lachst du und freust dich, wie geil es war gerade erst 30 zu sein!
    Liebste Grüße
    Claudine
    http://www.claudinesroom.com

  4. 5. June 2016 / 9:46

    Ich muss sagen, älter zu werden hat auch viele Vorteile! Ich fand es toll 30 zu werden. Man ist schließlich immer so jung wie man sich fühlt! Lass dich da nicht stressen 🙂
    Christina ♥ https://caliope-couture.com

    • Julie
      Author
      30. June 2016 / 0:33

      Danke liebe Christina 🙂 Jetzt mit ein paar Tagen Abstand habe ich diese Zahl wirklich schon wieder vergessen! Man sollte sich wirklich einfach nicht stressen 🙂

  5. 6. June 2016 / 17:59

    Liebe Julie, jetzt weiß ich was du damit gemeint hast, dass du gerade einen ganz ähnlichen Beitrag verfasst hast und wow, wie toll geschrieben, aber ich mag deine Texte sowieso IMMER, aber diesen ganz besonders, weil er mir eben so sehr aus dem Herzen spricht. Eines kann ich dir schonmal sagen, ich habe den 30er schon weit hinter mir gelassen und es tut überhaupt nicht weh. Wenn du den ersten Schock, den du dir aber eher nur selber einredest, hinter dir gelassen hast, dann wird sogar alles irgendwie einfacher, weil du diesen Selbstverwirklichungsdrang und dieses sich etwas beweisen müssen der 20er los wirst, du bist mehr du und bei mir ist es so, dass ich heute viel mehr Stärke habe zu meinem “anderen” Leben zu stehen. Ich kenne dieses “Kinder” Thema nur zu gut, als ich mit 22 geheiratet habe, hat jeder auf meinen Bauch gestarrt, weil keiner verstehn konnte, warum ich so jung heirate und nicht einmal schwanger bin. Tja und heute, bin ich 15 Jahre verheiratet und habe noch immer keine Kinder und das freiwillig und DAS versteht jetzt wirklich keiner mehr. Ich habe nie ein konventionelles Leben geführt, das bin ich einfach nicht, habe aber lange gebraucht bis ich mir deshalb keinen Kopf mehr gemacht habe. Sorry, ich texte dich zu, was ich eigentlich sagen will, du machst alles genau richtig so, du bist immer nur dir selber Rechenschaft schuldig und je mehr du dich von der Masse abhebst, desto stolzer solltest du auf dich sein. Einer meiner Lieblingssprüche “nur wer gegen den Strom schwimmt, gelangt zur Quelle” ist genau passend und DANKE für diesen offenen, ehrlichen und so sympathischen, weil menschlichen Beitrag. Alles Liebe, x S.Mirli (http://www.mirlime.com)

    • Julie
      Author
      30. June 2016 / 0:35

      Danke für deinen lieben Kommentar <3 Du hast mich gar nicht zugetextet und du hast übrigens Recht, wenn der erste "Schock" vorbei ist, ist das mit der 30 ganz ok 🙂

  6. 7. June 2016 / 7:14

    Ach liebe Julie,

    lass dich nicht stressen. Egal ob von anderen oder vor der ach so “magischen” 30. Ich habe Anfang diesen Jahres ähnlich wie du gedacht vor meinen 30-igsten Geburtstag. Doch eigentlich ist es eben nur eine Zahl und man ist auch nur so alt, wie man sich fühlt. Es ändert sich nichts und die Zeit läuft auch nicht schneller.
    Und wenn ich richtig gelesen habe, dürfte auch heute dein Geburtstag sein? Dann wünsche ich dir natürlich alles Liebe und Gute. Viel Gesundheit, Glück und auf dass all deine Wünsche und Träume in Erfüllung gehen!! Bleib so wie du bist und lass all die Nörgler und Pessimisten links liegen. 😉

    Liebste Grüße,
    Maria <3

    • Julie
      Author
      30. June 2016 / 0:39

      Danke für die Geburtstagsgrüße liebe Mary <3 Du hast ganz doll Recht, es ist nur eine Zahl und mit ein paar Tagen Abstand gar nicht mehr schlimm. Ich fühle mich genauso wie vorher 🙂

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